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Auf dem Weg zu einer kultursensiblen Trauerbegleitung

Ich gehe auf einer unbefestigten Straße. Um mich herum sehe ich Container, die zu kleinen Wohneinheiten geworden sind. Es sind viele, mehr als ich mit einem Blick erfassen kann. 
Bei genauerem Hinsehen entdecke ich, dass jeder einzelne Wohncontainer kleine individuelle Züge hat: Vorbauten, Sitzgelegenheiten; bei einem hängt sogar ein Vogelkäfig vor dem Eingang. 
Es ist März 2016 und ich bin mit einer Hilfsorganisation im Irak. Wir besuchen unterschiedliche Flüchtlingscamps, führen kreative Workshops mit Frauen durch und kommen mit den Menschen dort ins Gespräch. 
Sie erzählen mir von ihrer Flucht, bei über 40 Grad zu Fuß mit Kindern in eine ungewisse Zukunft. Ihren Sorgen und Ängsten, aber auch davon, was ihnen hilft durchzuhalten. 
Ich bin tief berührt von ihrer Offenheit und Herzlichkeit. Ein „dennoch“ und „trotz alledem“, was diese Menschen dort leben, wie sie ihren Weg gehen. 

Ich komme zurück nach Deutschland mit einem Herzen voller Eindrücke von Lebenswegen, Schicksalen und kostbaren Menschen. 
Und bin ermutigt, ein Angebot für geflüchtete Menschen ins Leben zu rufen. 
Es fühlt sich fast ebenso an, wie auf einem unbefestigten Weg zu sein. Es gibt noch nicht ausreichend kultursensible Trauerangebote und sie werden so dringend benötigt. 
Ich laufe und lerne.
Auf diesem Weg komme ich den verschiedenen Kulturen näher. Wie in den unterschiedlichen Ländern mit dem Thema Sterben, Tod und Trauer umgegangen wird. Ich lerne auch hier kostbare Menschen kennen, höre ihre Geschichten und schließe Freundschaften. 
Wie mühselig und gefährlich war ihre Flucht. Was mussten die Menschen alles zurücklassen. Es gibt so viel, was sie betrauern: Heimat, Häuser/Wohnungen, Umfeld, Traditionen, Berufe, Sprache. Besonders schwer wiegt, dass sie Familie und Freunde verloren haben. Viele ihrer geliebten Menschen sind gestorben. Und dennoch wagen sie hier einen Neuanfang, in einem Land, in dem erst einmal alles fremd scheint. 

Ich begleite diese Menschen in meiner Praxis und es gibt das kunsttherapeutische Gruppenangebot, die „Farboase“.

Es ist ein Ort, an dem man zur Ruhe kommen darf. Auftanken, aber auch Ballast loswerden. Es wird viel gelacht und auch geweint.
Eine junge Syrerin sitzt vor ihrem Bild, sie hat einen Baum gemalt und sagt: „Die Wurzeln des Baumes haben Schreckliches erlebt. Aber der Baum wächst trotzdem und die Baumkrone hat das Schwere bereits überwunden.“
Hier wird über Sorgen und Kummer gesprochen, aber in der „Farboase“ ist auch Raum für Ermutigung, Wertschätzung und Austausch. Die Teilnehmer erleben: Du bist nicht allein! 
Sie malen Bilder, die Erlebtes ausdrücken. Und dort, wo Sprache fehlt, erzählen diese Bilder ihre Geschichten, sie drücken ihre Gefühle aus. „Kerstin, ich bin immer so müde und kann mich gar nicht konzentrieren. Ich fühle mich dumm, weil mir das Deutschlernen so schwerfällt.“ sagt eine andere Frau. Auch sie hat viel verloren und Schreckliches erlebt. Die Trauer drückt sich ganz unterschiedlich aus und es entlastet, zu wissen, dass Trauer auch müde und unkonzentriert machen kann. Trauer braucht einen Raum!

Wie sieht nun eine kultursensible Trauerbegleitung aus? 
Mir ist vor allem wichtig, eine offene Haltung der anderen Kultur gegenüber zu haben. Von meinem Gegenüber zu lernen und aufeinander zuzugehen. Aber auch darüber nachzudenken, was meine eigenen kulturellen Wurzeln sind. Was sind meine Werte, Traditionen und gewohnten Rituale.

So kann echte Begegnung stattfinden! Vertrauen wachsen und Unterstützung angenommen werden.  

Der Weg ist fester geworden. Ich bin mit einigen Menschen zusammen diesen Weg weiter gegangen. Daraus entstand auch der Verein SHiFT e.V. wodurch es möglich wurde die Angebote weiter auszubauen. Der Bedarf ist groß und ich bin gespannt auf neue Begegnungen mit wundervollen Menschen. 

Ich möchte mich weiterhin als Lernende sehen. Das hält mich offen für den anderen. 
Mittlerweile bin ich aber auch zu Lehrenden geworden. Ich gebe Workshops und Fortbildungen zum Thema „Trauer und Flucht“ und „Kultursensible Trauerbegleitung“. 
Ich möchte andere Menschen einladen, diesen Weg mit mir zu gehen.

19 Feb., 2021
"Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt; man fühlt es auf tausenderlei Weise." (Blaise Pascal) Ich bin eine „Herzen-Sammlerin“. Wenn ich am Strand spazieren gehe, halte ich Ausschau nach Steinen in Herzform. Mittlerweile habe ich eine schöne Auswahl an gesammelten, gekauften und geschenkten Herzen. Sie dekorieren mein Zuhause und meine Praxis. Eine junge Frau, die mich in meiner Praxis besuchte, nimmt eins dieser Herzen in die Hand. Es ist aus schroffem Stein, groß und sehr schwer. Sie sagt: „Mein Herz ist so wie dieser Stein. So schwer und hart wie dieses Steinherz, damit ich all das tragen und ertragen kann, was ich erlebt habe.“ Sie hat ein Bild dafür gefunden, wie es in ihr aussieht. Auch in meinen Trauerzeiten hat das Herz sehr oft so ausgesehen. Schwer und erschöpft, voller Sehnsucht nach dem Menschen, den ich verabschieden musste. Voller Sehnsucht auch nach Ruhe und Frieden in mir. Einen Moment Innehalten. Ohne Wertung wahrnehmen, was da ist und achtsam auf das Herz hören. Da ist viel Schmerz. Es ist traurig, einsam, verloren, sorgenvoll, verletzt. Vielleicht aber auch wütend oder voller Scham und Schuldgefühle. Diese Gefühle wertfrei da sein lassen. Sie nicht verleugnen, weil das noch viel mehr Lebenskraft raubt. Sie annehmen, auch wenn es schwerfällt. Ihnen einen Ausdruck geben, einen Rahmen, einen Raum. Das hilft, um nicht von ihnen überwältigt zu werden und die Gefühle einzuordnen. Achtsam und respektvoll mit mir umgehen. Mit mir selbst wieder im Kontakt sein, mich selber wertschätzen. Fürsorglich mit mir umgehen. Wieder neu lernen, den Körper zu spüren. Ihn mit Nahrung versorgen. Wieder essen und trinken. Bewusst atmen, bis tief in den Bauch hinein und den Körper mit Sauerstoff und neue Energie versorgen. In der Trauer ist jede Faser meines Körpers mit „Überleben“ beschäftigt. Ein Tag nach dem anderen. Es ist ermüdend. Die Ereignisse haben sich überschlagen, vieles musste erledigt werden. Jetzt bewusst eine Pause einlegen, einmal wieder langsame Schritte gehen und mich ausruhen, zur Ruhe kommen, in mich hineinhören. Was beinahe unmöglich erscheint, aber meine Seele sehnt sich danach. Was kann ich im Hier und Jetzt spüren? Welcher Gedanke kommt mir gerade in den Sinn? Alles darf sein, egal was mein Umfeld erwartet oder sich wünscht. Jetzt geht es um mein Herz und alles was darin ist. Die junge Frau und ich unterhalten uns über verschiedene Herzenszustände. Was in ihrem Herz ist, was die Schwere bedeutet. Was sie braucht und sich wünscht. Schließlich nimmt sie ein anderes Herz in die Hand. Es ist aus Glas. Sie sagt mit einem Lächeln: „Das ist mein Lieblingsherz. Ich wünsche mir wieder so leicht und durchlässig zu werden wie dieses Herz.“
17 Feb., 2021
Ich gehe auf einer unbefestigten Straße. Um mich herum sehe ich Container, die zu kleinen Wohneinheiten geworden sind. Es sind viele, mehr als ich mit einem Blick erfassen kann. Bei genauerem Hinsehen entdecke ich, dass jeder einzelne Wohncontainer kleine individuelle Züge hat: Vorbauten, Sitzgelegenheiten; bei einem hängt sogar ein Vogelkäfig vor dem Eingang. Es ist März 2016 und ich bin mit einer Hilfsorganisation im Irak. Wir besuchen unterschiedliche Flüchtlingscamps, führen kreative Workshops mit Frauen durch und kommen mit den Menschen dort ins Gespräch. Sie erzählen mir von ihrer Flucht, bei über 40 Grad zu Fuß mit Kindern in eine ungewisse Zukunft. Ihren Sorgen und Ängsten, aber auch davon, was ihnen hilft durchzuhalten. Ich bin tief berührt von ihrer Offenheit und Herzlichkeit. Ein „dennoch“ und „trotz alledem“, was diese Menschen dort leben, wie sie ihren Weg gehen. Ich komme zurück nach Deutschland mit einem Herzen voller Eindrücke von Lebenswegen, Schicksalen und kostbaren Menschen. Und bin ermutigt, ein Angebot für geflüchtete Menschen ins Leben zu rufen. Es fühlt sich fast ebenso an, wie auf einem unbefestigten Weg zu sein. Es gibt noch nicht ausreichend kultursensible Trauerangebote und sie werden so dringend benötigt. Ich laufe und lerne. Auf diesem Weg komme ich den verschiedenen Kulturen näher. Wie in den unterschiedlichen Ländern mit dem Thema Sterben, Tod und Trauer umgegangen wird. Ich lerne auch hier kostbare Menschen kennen, höre ihre Geschichten und schließe Freundschaften. Wie mühselig und gefährlich war ihre Flucht. Was mussten die Menschen alles zurücklassen. Es gibt so viel, was sie betrauern: Heimat, Häuser/Wohnungen, Umfeld, Traditionen, Berufe, Sprache. Besonders schwer wiegt, dass sie Familie und Freunde verloren haben. Viele ihrer geliebten Menschen sind gestorben. Und dennoch wagen sie hier einen Neuanfang, in einem Land, in dem erst einmal alles fremd scheint. Ich begleite diese Menschen in meiner Praxis und es gibt das kunsttherapeutische Gruppenangebot, die „Farboase“. Es ist ein Ort, an dem man zur Ruhe kommen darf. Auftanken, aber auch Ballast loswerden. Es wird viel gelacht und auch geweint. Eine junge Syrerin sitzt vor ihrem Bild, sie hat einen Baum gemalt und sagt: „Die Wurzeln des Baumes haben Schreckliches erlebt. Aber der Baum wächst trotzdem und die Baumkrone hat das Schwere bereits überwunden.“ Hier wird über Sorgen und Kummer gesprochen, aber in der „Farboase“ ist auch Raum für Ermutigung, Wertschätzung und Austausch. Die Teilnehmer erleben: Du bist nicht allein! Sie malen Bilder, die Erlebtes ausdrücken. Und dort, wo Sprache fehlt, erzählen diese Bilder ihre Geschichten, sie drücken ihre Gefühle aus. „Kerstin, ich bin immer so müde und kann mich gar nicht konzentrieren. Ich fühle mich dumm, weil mir das Deutschlernen so schwerfällt.“ sagt eine andere Frau. Auch sie hat viel verloren und Schreckliches erlebt. Die Trauer drückt sich ganz unterschiedlich aus und es entlastet, zu wissen, dass Trauer auch müde und unkonzentriert machen kann. Trauer braucht einen Raum! Wie sieht nun eine kultursensible Trauerbegleitung aus? Mir ist vor allem wichtig, eine offene Haltung der anderen Kultur gegenüber zu haben. Von meinem Gegenüber zu lernen und aufeinander zuzugehen. Aber auch darüber nachzudenken, was meine eigenen kulturellen Wurzeln sind. Was sind meine Werte, Traditionen und gewohnten Rituale. So kann echte Begegnung stattfinden! Vertrauen wachsen und Unterstützung angenommen werden. Der Weg ist fester geworden. Ich bin mit einigen Menschen zusammen diesen Weg weiter gegangen. Daraus entstand auch der Verein SHiFT e.V. wodurch es möglich wurde die Angebote weiter auszubauen. Der Bedarf ist groß und ich bin gespannt auf neue Begegnungen mit wundervollen Menschen. Ich möchte mich weiterhin als Lernende sehen. Das hält mich offen für den anderen. Mittlerweile bin ich aber auch zu Lehrenden geworden. Ich gebe Workshops und Fortbildungen zum Thema „Trauer und Flucht“ und „Kultursensible Trauerbegleitung“. Ich möchte andere Menschen einladen, diesen Weg mit mir zu gehen.
06 Feb., 2021
Vor einiger Zeit habe ich diese Überschrift in einem Post in den sozialen Netzwerken gelesen und habe mich sofort angesprochen gefühlt. Nach dem Tod meines Hundes hat es einige Wochen gedauert, bevor ich wieder über die gewohnten Wege spazieren konnte, die ich lange Zeit für die Hunderunde am Morgen und am Abend genommen habe. Es fühlte sich merkwürdig an und es schmerzte, nicht mit meinem Hund unterwegs zu sein, ihn nicht dabei zu beobachten, wie er seine Welt erkundet und mit anderen Hunden spielt. Tatsächlich war es ein größerer Einschnitt als ich vorher vermutet hätte. Mein ganzer Tagesablauf war durcheinander gekommen und es dauerte, bis ich neue Routinen entwickelt hatte. Ich fühlte mich verloren. Mein „Seelenhund“ ist gestorben. Von Anfang an hatten wir eine besondere Beziehung. Wir haben ihn in einem Tierheim gefunden, oder besser, er hat uns gefunden. So kam es uns vor, als wir ihn mit nach Hause nahmen. Er wurde ein treuer Begleiter, ein Beschützer, ein Tröster, ein Gute-Laune-Verbreiter und manches Mal forderte er auch einfach seine Ruhe ein. Wenn ein Haustier stirbt, sind wir vielleicht irritiert, wie intensiv wir um dieses Wesen trauern. Und manchmal ist es nicht einfach, mit anderen Menschen darüber zu reden. Aber dieses Wesen, sei es ein Hund, Katze, oder ein anderes Haustier, hat uns eine Zeit lang im Leben begleitet. Wir sind eine Beziehung, eine Bindung eingegangen, haben gemeinsame Erlebnisse und schöne Erinnerungen. Jeder Abschied schmerzt. Unser treuer tierischer Begleiter fehlt. Nach einiger Zeit bin ich meine „Hunderunde“ auch ohne Hund wieder gegangen. Und irgendwie fühlt es sich fast so an, als sei er immer noch mit dabei. Überall erinnere ich mich. In meinen Gedanken läuft er noch über das Feld und begrüßt seine Kameraden. Sich erinnern, schmerzlich und schön. Und ich bin dankbar, ihn als einen guten Freund gehabt zu haben.
04 Feb., 2021
„Alles ist in mir zerrissen!“, „Ich habe das Gefühl, mein Leben ist in Einzelteile, in Scherben zerfallen.“, „Ich kann die Scherben nicht mehr zusammenbringen – Was gehört noch dazu, was ist für immer verloren gegangen?“ Wenn ein Mensch stirbt, spüren wir viele, sehr tiefe, manchmal auch widersprüchliche Empfindungen. Und diese Empfindungen brauchen Raum. Eine Möglichkeit des Ausdrucks, um sie greifen, be-greifen zu können - das Unfassbare einordnen, das geschehen ist. Eine junge Frau sitzt in meiner Praxis. Vor ihr ein selbst gemaltes Bild, das sie zerrissen hat. Gerade fühlt sie sich etwas erleichtert. Etwas von ihrem Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen, ist beim Zerreißen abgeflossen. Erleichtert auch deshalb, weil sie ein passendes Bild gefunden hat für den tiefen Schmerz in ihr. Als ich das erste Mal mit dem Tod konfrontiert war, fehlten mir die Worte. Überwältigt von dem Durcheinander der Gefühle in mir, griff ich zu Pinsel und Farbe und begann zu malen. Dabei ging es weniger um das Resultat als um den kreativen Prozess, das Tun - aktiv zu werden. Dem Ohnmachtserleben etwas entgegen setzen zu können. Und es tat gut, einen Ausdruck zu finden für die Prozesse, die in mir stattfanden. Einen kreativen Weg durch die Trauer. Da, wo Worte nicht mehr ausreichen, können Bilder sprechen. Und es ist dabei egal, wie kunstfertig dabei vorgegangen wird. Etwas nach außen bringen, was in uns feststeckt. Dazu braucht es keine künstlerische Vorerfahrung, nur die Entscheidung, es machen zu wollen. Die junge Frau in meiner Praxis möchte aus den zerrissenen Schnipseln ein neues Bild gestalten. Und nun beginnt sie, einzelne Stücke auszusuchen. Sie zusammen zu bringen und aufzukleben. Es entsteht ein Baum. Sie nennt ihn „Trauerbaum“.
02 Feb., 2021
Es fing damit an, dass meine Mutter nach Worten suchte. Sie sich Notizen machte. Sie stiller und ängstlicher wurde und mich nicht mehr mit der Bahn besuchen wollte, bis sie schließlich gar keine Besuche mehr machte. Nach und nach erkannte sie immer weniger Personen um sich herum. Ihre Töchter wurden zu „Liebes“ oder „Freundin“. Irgendwann benötigte sie Pflege. Meine Mutter verschwand in einem Nebel und starb nach 9 Jahren Demenzerkrankung. Der Trauerprozess begann, noch bevor meine Mutter starb. Im Nebel der Demenz sammelte ich die kleinen Lichtmomente ein: Ein paar Worte, Berührungen, ein Lächeln und dann nur noch kleine Augenblicke – Blicke, die sich treffen und direkt ins Herz gehen. Ein immer wieder Abschied nehmen, mit dem Wissen, sie vielleicht so nicht mehr anzutreffen. Es war ein Abschiednehmen und Trauern über Jahre hinweg. Als sie schließlich starb war ich unendlich traurig und zugleich erleichtert. Darf man sich erleichtert fühlen, wenn ein geliebter Mensch stirbt? In der Trauer haben alle Gefühle ihre Existenzberichtigung! Nicht nur die Gefühle, die wir vielleicht naheliegend empfinden. Viele der Gefühle irritieren uns oftmals, vielleicht schämen wir uns sogar dafür und verschließen sie in uns. Manchmal benötigen wir eine Freundin/einen Freund oder eine professionelle Begleitung. Jemand im Außen, der uns mit all dem annimmt, nicht verurteilt, damit diese Gefühle und Gedanken eingeordnet werden können. Meine Mutter hat Spuren hinterlassen. Es war tröstlich zu sehen, wie vielen Menschen sie etwas bedeutet hat. Wie lebendig die Erinnerungen an sie sind, bis heute. Das konnte auch der Nebel der Demenz nicht verschleiern. Während ich hier diese Gedanken aufschreibe, fällt mir auf, wie sehr nicht nur ihr Leben, sondern auch ihre Krankheit und ihr Sterben mich geprägt haben. Meine Mutter starb vor 7 Jahren. Wie kann ich loslassen, was ich doch festhalten möchte? Wie kann ich in Verbindung bleiben, wenn sich Beziehung verändert? Wie kann ich Handelnde bleiben, wenn ich ohnmächtig vor Veränderungen stehe? Das sind einige Fragen, die die Erkrankung und der Tod meiner Mutter bei mir ausgelöst haben. Ich habe mich auf meinen Weg gemacht, heraus aus diesem Nebel und mitten durch die Trauer. Ich bin tiefer eingestiegen in die Auseinandersetzung mit dem Thema Tod und Trauer. Und bin zu einer Begleiterin geworden von Menschen, die sich ebenso auf die Suche nach Antworten begeben. Bin Zuhörerin für Menschen, die ihre besondere Geschichte erzählen wollen. Und helfe beim Einordnen von Gefühlen und Gedanken.
01 Feb., 2021
Im letzten November ist mein Vater gestorben. Nachdem ich viel in unterschiedlichen Netzwerken über Abschiednehmen in Covid-Zeiten gelesen hatte, musste ich nun selbst Abschied nehmen im kleinen Kreis mit Abstand, ohne Nachfeier. Da, wo wir an Grenzen stoßen, wird Kreativität gefordert! Und so war es kostbar zu sehen, wie jeder Einzelner dazu beigetragen hat, diesen Tag besonders zu machen. Meinem Vater einen würdevollen Abschied zu geben, auch wenn wir nicht auf vertraute Rituale zurückgreifen konnten. So entstand eine Homepage, wo Freunde und Familienangehörige Fotos, Erinnerungen und Geschichten teilen konnten. Eine besondere, selbst gestaltete Traueranzeige. Eine Liveübertragung aus der Kapelle. Ein persönliches, aufgenommenes Lied. Ein gemaltes Bild von der Urenkelin. Eine Diashow, die geteilt wurde. Der Tag vor der Beerdigung war gefüllt mit Basteln. Es wurden kleine, liebevolle Geschenkverpackungen hergestellt, für ein Blumentöpfchen mit „Vergissmeinnicht“, eine kleine Tafel Schokolade und das Lieblingsrezept meines Vaters, „Schlesische Klöße“. Dieses gemeinsame Basteln war schon ein Teil der Trauerarbeit. Wir waren mit unseren Händen beschäftigt und haben uns erinnert, geweint und gelacht. Das „Aussähen“ in die kleinen Blumentöpfchen und das Nachschauen, wie die Pflanzen wachsen, wurde nach der Beerdigung für die Kinder, aber auch für die Erwachsenen noch einmal ein besonderer Moment - „Vergissmeinnicht“! Statt einer Nachfeier haben wir alle in unseren Familien versucht das Lieblingsgericht nach zu kochen, mit unterschiedlichem Erfolg. Und in mir konnte ich das Lachen von meinem Vater über unsere Ergebnisse hören. Ich habe mich mit ihm und mit allen verbunden gefühlt. Und das war sehr tröstlich. Natürlich wäre es gut gewesen, wenn mehr Familienangehörige und Freunde zur Beerdigung hätten kommen dürfen. Die „erlaubten“ Plätze in der Kapelle haben noch nicht einmal für den engsten Familienkreis gereicht. Vielen Menschen ist das Abschiednehmen, der letzte Weg vorenthalten geblieben. Und das ist traurig. Bekannte, gewohnte Rituale geben Halt, gerade in einer Zeit, in der man sich verloren fühlt. Wir als Familie haben einen Weg gefunden, der gut für uns war und auf dem wir uns miteinander verbunden und getröstet gefühlt haben. Es war eine Chance, in sich hinein zu hören und Neues zu wagen. Ich werde aber auch dankbar sein, wenn Umarmungen und Gemeinschaft wieder möglich sind.
01 Feb., 2021
Der Orientteppich aus dem Haus meiner Eltern, nun liegt er hier, bei mir in meinem Wohnzimmer. Viele Jahre zierte er das Esszimmer meiner Eltern. Er ist mehr als ein Stück geknüpfter, farbiger Stoff und Wollfäden - er ist Geschichte, ein Teil meiner Biografie. Ein „In-Verbindung-bleiben“ mit meinem Elternhaus. Dieser Teppich hat unzählige schöne Gespräche, aber auch Konflikte mit angehört. Feiern, Lachen und Tränen erlebt. Über diesen Teppich sind bereits meine Kinder gekrabbelt. Und unsere vierbeinigen Familienmitglieder haben sich dort einen gemütlichen Platz gesucht. Er ist in die Jahre gekommen, er hat Stellen die deutlich abgelaufen sind. Aber ich sehe darin meinen Vater, auf dem Weg zu seinem Platz am Tisch. Oder meine Mutter, die am Kopfende sitzt und herzlich lacht, in die Küche läuft, um ihre Gäste mit Essen zu versorgen. Es sind so viele Menschen über diesen Teppich gelaufen. Nun liegt der Teppich hier bei mir, als Verbindung zu Vergangenem, zu meinem Elternhaus, das es bald so nicht mehr geben wird. Es ist schmerzhaft davon Abschied zu nehmen. Es ist aber auch ein kostbarer Prozess, weil Erinnerungen auf einmal wieder lebendig werden. Jedes Teil in die Hand zu nehmen, zu entscheiden, was daraus werden soll. Sogar Ungeahntes zu finden, alte „Schätze“: Alte Briefe, Fotos oder Tagebücher. Noch einmal neue Seiten, Gedanken der Eltern kennen lernen dürfen. Und in einen lebendigen Austausch zu kommen mit Menschen, die sich ebenso erinnern. Der Orientteppich ziert nun mein Wohnzimmer. Hier darf er weiter Geschichten und Spuren von Menschen sammeln, die über ihn laufen. Und so verbindet sich Altes mit Neuem und mein Elternhaus mit meinem Zuhause. Neben aller Traurigkeit erfüllt eine tiefe Dankbarkeit mein Herz. Trauer braucht einen Raum und die Möglichkeit des Ausdrucks. Auch dann, wenn wir um Orte trauern, Lebensabschnitte beendet werden, sich Türen schließen. Es kann hilfreich sein, diese Gefühle ganz bewusst wahrzunehmen und ihnen zu begegnen. Sich den inneren Prozessen zu öffnen und gestärkt daraus hervor zu gehen.
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